Wie in jedem Jahr, so fragten sich wohl auch diesmal viele in der
Vorweihnachtszeit: "Was schenken wir unseren Kindern und Enkeln?" - Angebote in den
übervollen Geschäften gab es genug; denn die Geschäftswelt versuchte verständlicherweise,
auch Weihnachten 1989 zu einem Fest der materiellen Dinge zu machen. - Es erreichten uns
aber auch Stapel von Briefen gemeinnütziger Organisationen mit der Bitte um finanzielle
Unterstützung ihrer wichtigen Arbeit. - Doch das Besondere in diesem Jahr waren die vielen
Besucher aus der DDR, die zum ersten Mal den 'Goldenen Westen' erlebten und sich an der
Überfülle von Waren in den Kaufhäusern nicht sattsehen konnten.
Die Vorweihnachtszeit 1989 fiel aber auch gleichzeitig in eine Zeit, in der sich so
vieles, besonders in Europa, im Umbruch befindet. Wir wissen nicht, ob das, was wir heute
sagen, vielleicht schon morgen nicht mehr gültig ist. Nichts scheint mehr vorhersehbar zu sein.
Bei den vielen Briefen von Gruppen, die um Unterstützung bitten, befinden sich
aber z.B. auch solche von Greenpeace, Robin Wood oder dem World Wildlife Fund. Und diese
weisen uns immer wieder mit vielen Fakten darauf hin, daß der Welt (nicht nur der Menschheit)
eine Katastrophe droht, wenn wir nichts Einschneidendes in unserem Verhalten zur Umwelt
ändern. - Können wir ihnen entgegnen, daß nichts, wie ja das Beispiel DDR zeige, vorhersehbar
sei, daß wir also auch auf solche Warnungen nicht zu hören brauchen? -
Wie steht es denn mit unserer Erde? - Sie ist mit ihrer gesamten Lebewelt ein so
ungeheuer komplexes System, daß wir es wohl nie in seiner Funktion vollständig durchschauen
können. Alles wirkt irgendwie zusammen und beeinflußt sich gegenseitig. In mehreren
Milliarden von Jahren sind dabei immer wieder neue Fließgleichgewichte (also Gleichgewichte
der Bewegung in einem sich ständig ändernden System) entstanden, die die Entwicklung der
Lebewelt bis hin zum Menschen möglich gemacht haben. Die Bedingungen in den
Teilbereichen haben sich zwar immer wieder geändert, in manchen durch Katastrophen sogar
sehr schnell. Jedoch haben die größeren Systemteile (z.B. die Ozeane oder die Atmosphäre)
ausgleichend gewirkt, so daß sich die wichtigsten Lebensbedingungen nur sehr langsam
geändert haben. Es sind keine Brüche im Zusammenwirken entstanden. Gewissermaßen konnte
sich die 'Natur' darauf einstellen. - Warum fürchten wir nun, daß es nicht so weitergehen könne?
-
Wir Menschen haben mit den Mitteln der Technik, die wir uns geschaffen haben,
viel intensiver in die natürlichen Gleichgewichte eingegriffen, als es die größten
Naturkatastrophen konnten. Beängstigend ist vor allem die große Geschwindigkeit. Wir haben
in wenigen Jahrzehnten in manchen Bereichen Änderungen hervorgerufen, die bei einem
natürlichen Ablauf nur in erheblich größeren Zeiträumen zustande kämen. (Regenwälder,
Ozonloch, Klimakatastrophe können als Beispiele dienen.) - Unser derzeitiges, sehr
differenziertes Weltsystem ist außerdem viel empfindlicher als die einfacheren Systeme am
Beginn der Entwicklung vor Milliarden von Jahren. Die Folge unseres Handelns wird deshalb
sein, daß sich keine neuen Gleichgewichte einpendeln können, sondern daß große Teilsysteme
'umkippen', d.h. in einen neuen Zustand übergehen, aus dem sie in absehbarer Zeit nicht wieder
zurückkommen können. Damit sägen wir Menschen uns aber den Ast ab, auf dem wir sitzen und
gefährden außerdem die gesamte Lebewelt.
Keiner von uns weiß, wie weit wir schon auf dem gefährlichen Weg
vorangekommen sind, ob wir schon den Punkt erreicht oder überschritten haben, an dem es kein
Zurück mehr gibt. Eines aber ist sicher: Je länger wir jetzt in der falschen Richtung weitergehen,
desto schwieriger und opfervoller wird später - wenn es dann hoffentlich noch möglich sein
sollte - ein Umsteuern werden.
Dabei sind wir nun wieder bei den Problemen dieser Tage. - Ist es denn richtig,
wenn in der Vorweihnachtszeit das "Wachstum unser!" in verstärktem Maße gebetet wird? - Ist
das, was da geschieht, nicht mit dem Tanz ums goldene Kalb zu vergleichen? - Wie viele
Wälder müssen z.B. abgeholzt werden, nur um all das Papier produzieren zu können, das uns in
Form von Hochglanzprospekten ins Haus kommt und zum größten Teil gleich ins Altpapier
oder in den Müll geworfen wird?
Ist es denn richtig, zu erwarten, daß uns die DDR - neben dem vielen, was gut bei
uns ist, - auch all die Fehler nachmachen soll, die in unserer Verschwendungswirtschaft und
Wegwerfgesellschaft liegen? - Können wir nicht auch vieles von den Menschen aus der DDR
lernen? - Hat nicht mancher von ihnen bei uns - trotz der Herzlichkeit im ersten Überschwang
der Freude - eine größere Kälte zwischen den Menschen gespürt? Unser Wettbewerbssystem
verlangt ja, daß wir vorankommen müssen, ganz gleich, was mit den Kollegen geschieht! -
Natürlich handeln bei weitem nicht alle so. Aber es wäre sehr viel zu diesem Thema zu sagen.
-
Wir sprechen von der Qualität des Lebens. - Ist das aber der materielle
Wohlstand? - Warum gibt es dann gerade bei denen, die im Reichtum zu schwimmen scheinen,
so viele, die ihrem Leben selbst ein Ende machen? - Über die Frage, was die Qualität des
Lebens oder auch den Sinn unseres Lebens ausmacht, sollten wir in der Weihnachtszeit die
Muße finden nachzudenken. Wir sollten dem 'Sein' gegenüber dem 'Haben' den Vorrang
einräumen, wie es auch Erich Fromm in seinem Buch "Haben oder Sein" fordert.
Ich habe diesen Betrachtungen die Überschrift gegeben: "Bewußtsein schenken!"
und die Frage gestellt: "Was schenken wir unseren Kindern und Enkeln?" - Ich will das nicht so
verstanden wissen, daß wir ihnen nur die Situation auf unserer Erde klar machen - natürlich ist
auch das wichtig. - Viel wichtiger und für unsere Nachkommen hilfreicher ist es aber, daß wir
in uns selbst dieses Bewußtsein schaffen, daß wir uns also unsere Verantwortung für die
Schöpfung bewußt machen und auch erkennen, daß wir nicht alles dürfen, was wir können und
vielleicht auch gern möchten. Im bewußten Verzicht aus Verantwortungsgefühl heraus liegt
mehr Freiheit als im hemmungslosen Ausleben der eigenen Wünsche. Wir sollten so unser
Leben in einem sinnvollen Zusammenhang mit dem Ganzen sehen und dann versuchen, in
unserem Alltag und auch in den politischen Entscheidungen, die wir zumindest bei Wahlen -
aber nicht nur bei diesen - mitzutreffen haben, das Notwendige zu tun. Denn das, was wir heute
in der richtigen Richtung tun, schmerzt weniger als das, was morgen im Angesicht größerer
Katastophen getan werden muß. Und das wollen wir unseren Kindern doch ersparen!
Können wir den folgenden Generationen ein besseres Geschenk machen, als zu
versuchen, mit all unseren Kräften dazu beizutragen, daß sie in eine Welt hineinwachsen, in der
sie glücklich leben können? In materiellen Dingen sind die Grenzen des Wachstums erreicht.
Dem Wachstum zu mehr Menschlichkeit und Liebe zu allen Mitgeschöpfen sind aber keine
Grenzen gesetzt!
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